DER MONAT MUHARREM
Während der islamische Fastenmonat Ramadan und das Opferfest der Muslime auch vielen Nichtmuslimen bekannt ist, weiß kaum jemand, dass es auch noch eine zweite Fastenzeit im Islam gibt, das Muharrem-Fasten. In diesem Jahr findet es vom 28 September bis zum 14. Oktober statt. Einen ganz besonderen Stellenwert hat diese Fastenzeit für eine Minderheit in der islamischen Gemeinschaft. Warum dieses Muharrem-Fasten aber im Gegensatz zum Ramandan nicht mit großen Feierlichkeiten, sondern im eher Stillen stattfindet, stellt Hüseyin Topel in seinem Beitrag vor.
60 Gemeinde-Mitglieder sind im Haci Bektas Veli Alevi Cem Haus in Köln Mülheim zusammengekommen. Cem Häuser sind die Gebetsstätten der Aleviten, einer Minderheit innerhalb des Islams. An den Wänden der hellen Räume hängen Bilder der Nachfahren des Propheten Mohammed. In anderen islamischen Glaubensrichtungen sind Bilder tabu. Im religiösen Leben der Aleviten spielen sie aber eine besondere Rolle. Im großen Versammlungsraum sitzen Frauen und Männer zusammen und warten gemeinsam auf den Sonnenuntergang. Alle haben tagsüber weder gegessen noch getrunken.
Es ist die Zeit des Muharrem-Fastens. Muharrem ist der erste Monat im islamischen Kalender. In den ersten 12 Tagen nach dem islamischen Neujahr trauern die Aleviten. Damit erinnern sie an das Massaker von Kerbela. Denn dort in der Wüste, im heutigen Irak, ließ der muslimische Umayyadenherrscher Yezid im Jahr 680 einen großen Teil der Nachkommen Mohammeds ohne Wasser gefangen halten und Hussein, einen Enkel Mohammeds, ließ er enthaupten.
Zu Beginn ihrer Zeremonie gedenken die Aleviten der Opfer von Kerbela.
Pünktlich mit Sonnenuntergang darf das Fasten gebrochen werden. Im Gegensatz zum Ramadan, bei dem viele Muslime abends ein Festmahl zubereiten, ist in diesem Monat das Menü dem Trauergedanken angepasst. Es gibt eine kleine Suppe und darauf folgt ein bescheidenes zweites Gericht. Dazu trinken sie Saft, oder Tee, aber klares Wasser und Fleisch sind in den zwölf Fastentagen nicht erlaubt. Erhan Bal, der Jugendleiter des Cem Hauses in Köln Mülheim erklärt warum:
„Die waren in der Wüste und wurden dort umgebracht. Wir können das Leiden, das die da erlitten haben gar nicht nachempfinden. Aber um ihnen wenigstens ein bisschen näher zu kommen, ein bisschen aus unserer Komfortzone rauszukommen, verzichte ich auch auf Wasser und auf Fleisch.“
Ältere und jüngere Mitglieder der Aleviten kommen im Cem-Haus während des Muharrem-Fastens zusammen und tragen Mersiyes vor, das sind Trauergedichte, mit denen man an die Ereignisse von Kerbela erinnert. Die junge Alevitin Selin Sel erklärt, dass es vor allem die älteren und erfahren Mitglieder der Gemeinde sind, die mit diesen Gedichten die Erinnerung an Kerbela wachhalten und damit eine Trauerstimmung erzeugen, die alle ergreift.
„Man sieht auch die alten Leute und das bewegt einen auch total, berührt einen auch. Wenn ich so alte Menschen sehe, die dann weinen. Wenn man richtig zuhört und versteht, was da eigentlich so erzählt wird, dann berührt das auch einen selber.“
Die Dedes sind die geistlichen Autoritäten in den Gebetshäusern der alevitischen Muslime. Ali Gözüdok ist ein junger Dede-Anwärter und bereitet sich darauf vor, als geistliches Oberhaupt der Gemeinde vorzustehen. Er betont besonders die spirituelle Seite des Muharrem-Trauerfastens, besonders in der Verehrung des Mohammed-Enkels Hussein.
„Ich versuche mich in dem Thema weiterzubilden, vor allem im Muharrem. Das ganze tut schon eine melancholische Stimmung hervorheben bei mir. In dem ich versuche, die Tat nachzuvollziehen, die Imam Hussein dort vollbracht hat, warum er dort dahingegangen ist und warum er sich geopfert hat und dadurch erkenne ich, dass er zum Beispiel für die Wahrheit gestorben ist und das er sich nicht unterdrücken lassen wollte. Das zeigt mir schon, worauf es im Leben ankommt.“
Sich mit ganzem Einsatz für das Wahre und Gute einzusetzen, ohne dafür eine Belohnung zu erwarten. Das ist die wichtigste Botschaft dieser Trauerzeit.
„Wichtig ist, dass du verstehst, dass der Islam, oder der alevitische Glaube insbesondere sich nicht daraus auszeichnet, dass du zum Beispiel nur betest und den Regeln folgst, sondern, dass du das auch verinnerlichst und verkörperst.“
Die Aleviten suchen ihren Weg der Vervollkommnung. Dieser Weg führt über verschieden Stufen und führt von außen nach innen. Dafür steht auch der alevitische Spruch: Beherrsche deine Hand, deine Zunge und deine Lenden.
Der Alevitin Selin Sel fasst das so zusammen:
„Dass du einfach von dir selber aus gute Taten vollbringst, oder dass du ein guter Mensch bist einfach. Und das bei uns jeder Mensch, egal ob klein, alt, ob Junge, oder Mädchen, alle gleich behandelt werden und gleich sind auch.“
Die Zeit des Trauerfastens und der spirituellen Besinnung endet am 12. Tag des Monats Muharrem mit einem speziellen Essen, das Aschure genannt wird, auch bekannt als die Suppe Noahs. Nach der Legende soll Noah dieses Gericht mit Nüssen, Getreide, Kichererbsen, Datteln und anderen getrockneten Früchten auf seiner Arche zubereitet haben. Symbolisch für die 12 heiligen Imame im Alevitentum besteht diese Suppe aus 12 Zutaten. Und wie bei jedem Fastenbrechen wird auch am letzten Tag ein Trauerlied gesungen.
Quelle: Wiederabdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors Hüseyin Topel. http://www.huseyintopel.com/3106-2/