Bericht zur Veranstaltung am 19.04.18 im Forum Dialog
Referentin: Dr. Dina El Omari
Dr. Dina El Omari ist Postdoktorandin und Leiterin der Nachwuchsgruppe „Theologie der Barmherzigkeit“ am Zentrum für Islamische Theologie der westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Sie studierte Islamwissenschaften und Romanistik und promovierte in diesen Fächern. Dr. El-Omari ist u.a. Mitglied im Gesprächskreis Christen und Muslime des Zentralkomitees der deutschen Katholiken.
Frau Dr. Omari behandelt das hoch aktuelle Thema „Die Frau im Islam“ und beantwortet dabei Fragen, wie Kann es ein Feminismus innerhalb des Islam geben? Was bedeutet feministische Zugänge zum Islam? Was bedeutet Feminismus? Feminismus ist zum Teil negativ konnotiert und wird mit dem Kolonialismus in Verbindung gesetzt. Das Konzept der Frauenbewegungen und Feministinnen hat das klare Ziel, Frauen in allen Lebensbereichen gleiche Freiheiten und Rechte einzuräumen, wie Männer sie haben. Frauenbewegungen haben das Ziel einen sozialen Wandel in Bezug auf die Geschlechterverhältnisse und Ungerechtigkeiten hervorzurufen. Wobei die Feministinnen tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen erzeugen wollen.
Die feministische Koranexegese möchte sozialen und gesellschaftlichen Wandel in der islamischen Ordnung anstoßen und dort ansetzen, wo Ungerechtigkeiten und Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen herrschen.
Die feministische Exegese bedient sich den Methoden zeitgenössischer Koranexegese und findet Anwendung bei Fragen, die die Frau betreffen.
Die feministische Koranexegese nutzt dabei drei wissenschaftliche Methoden, auf der sie ihre Argumentation aufbaut:
1)Die historische Kontextualisierung, d.h. Historisierung der Offenbarungen des Koran
2)Methode der Intertextualität, d.h. Lesen des Korans als ganzheitlichen Text mit Gleichwertigkeit und Gleichheit als Grundbotschaften
3) Methode des Tewhid- die Vorstellung, dass Hierarchie zwischen Menschen eine Rolle einnimmt, die ausschließlich zu Gott gehört.
Zur Methode der historischen Kontextualisierung (d.h. der Verortung des Korans in seinen spätaniken Kontext) Hierbei wird der Koran als ein Produkt seiner Zeit verstanden, d.h. ihm wird sein göttlicher Ursprung nicht aberkannt, aber die Sprache, sowohl die linguistische als auch die kulturelle, entspricht der des 7. Jahrhunderts und muss entsprechend in den jeweiligen historischen Kontext übersetzt werden.
Die Verortung des Textes in den historischen Kontext bringt jedoch die Kritik, dass die Gültigkeit des Korans auf einen bestimmten Zeitraum begrenzt sei.
Doch die Exegeten sind der Meinung, dass die Allgemeingültigkeit des Textes durch diese Methode gesichert ist, da zwischen gesellschaftsgebundenen und gesellschaftsungebundenen Versen unterschieden wird.
Ähnliche Überlegungen stellt auch der pakistanischen Philosoph Fazlur Rahman an, der die sogenannte Dreischritt-Methode anführt. Diese gestaltet sich so, dass der Exeget – oder eben auch die Exegetin – zunächst in die Zeit der Offenbarung zurückkehrt, da ein Verständnis der entsprechenden Koranpassage eben ein Verständnis des historisches Kontextes, d. h. der sozialen, kulturellen und politischen Umstände, erfordert. Auf diesen ersten Schritt folgt dann der zweite, nämlich die Abstrahierung der konkreten Anweisung, die dann als Grundlage moralischer Rechtslage gilt. So erhält man generelle Prinzipien, die in einem dritten Schritt in den heutigen Lebenskontext übertragen und angewendet werden.
Offenbarungsanlässe spielen bei der feministischen Koranexegese eine wichtige Rolle. Da sie die Reaktion Gottes auf verschiedene Menschen in bestimmte Zeiten darstellen, erlauben sie den universellen Gehalt abzuleiten und auf eine andere ähnliche Situation zu übertagen. Das ethische Prinzip muss dabei jeweils herausgearbeitet und in die Gegenwart übertragen werden.
Ein Beispiel dafür ist die Sanktionierung für Diebstahl im Koran, die für die damalige Zeit gängig war. Fazlu Rahman führt an, dass das Prinzip, das dahinter steckt die Etablierung der Gerechtigkeit in der Gesellschaftsordnung ist. Das Mittel zur Umsetzung ist zeitlich gebunden während das Prinzip überzeitlich ist.
Diese Dreischritt-Methode wurde von der feministischen Exegese adaptiert. Beispielsweise schreibt der Vers (4:34) die Verantwortlichkeit der finanziellen Absicherung allein dem Mann zu. In den damaligen patriarchalischen Strukturen war es für Frauen kaum möglich für ihre eigene finanzielle Sicherheit zu sorgen. Da wir heutzutage jedoch eine andere gesellschaftliche Ordnung vorfinden und in der Regel sowohl Mann, als auch Frau arbeiten müssen, um eine finanzielle Sicherheit gewährleisten zu können, ist die neue Bewertung dieses Verses für unsere Zeit erforderlich.
Im Weiteren wurden zwei weitere Koranverse aus der feministischen Exegese angeführt. Der Vers (2/228) behandelt das Thema „Scheidung“ und berichtet davon, dass der Mann dabei die höhere Stufe (daradscha) habe. Das Scheidungsrecht wurde in der patriarchalischen Gesellschaftsordnung stets dem Mann eingeräumt. Der Vers ist also für die heutige Zeit neu zu interpretieren. Der Vers (2/282) behandelt die Zeugenschaft und berichtet davon, dass anstelle eines Mannes, zwei Frauen als Zeugen vernommen werden sollen. Dieser Vers beabsichtigt nicht die Abwertung der Frauen, sondern will vielmehr deren Schutz in der Gesellschaft absichern. In dem damaligen Kontext wurden Frauen stark unter Druck gesetzt, sodass eine rechtmäßige Aussage nicht garantiert werden konnte. Heutzutage werden Frauen von dem Rechtssystem ausreichend geschützt, sodass die Maßnahme von der in dem Vers die Rede ist, nicht mehr erforderlich ist.
Als Methode der Intratextualität bezeichnet man die Methode Verse in Relation zu anderen zu setzen und diese entsprechend auszulegen. Sie beruht auf der Idee, den Koran holistisch (gesamtheitlich) zu lesen, d.h. die Verse im Zusammenhang mit anderen Versen der gleichen Thematik und nicht isoliert zu lesen. Und zwar im Lichte dessen, was die Exegeten als den koranischen Kern bzw. die konkrete Weltanschauung des Korans ausgemacht haben: Gerechtigkeit und Gleichheit für alle Menschen. Zu beachten ist bei dieser Methode, die Chronologie des Textes, welche in einem Zeitraum von 23 Jahren unter unterschiedlichen historischen Umständen offenbart wurde, sodass entsprechende Entwicklungen bei der Exegese berücksichtigt werden müssen.
Die feministische Koranexegese stellt die Schöpfungsgeschichte im Koran als Grundlage der geschlechtergerechten Koranexegese dar. Denn zunächst einmal spricht die koranische Schöpfungsgeschichte nicht von einer hierarchischen Erschaffung der Frau, sondern von Adam und seinem Partnerwesen. Eva wird nicht namentlich genannt und die Herkunft des Partnerwesens wird nicht beschrieben. Es fehlt also die Erschaffung Evas aus Adams Rippe, womit der Ausgangslage für die Exegese deutlich günstiger ist. Außerdem wird im Koran der Sündenfall auch nicht Eva angelastet, sondern entweder Adam alleine oder Adam und seinem Partnerwesen gemeinsam. Der Koran bietet aber noch eine ganze Reihe weiterer Verse, die auf die Erschaffung beider Geschlechter eingehen und dabei betonen, dass diese aus ein und demselben Menschenwesen abstammen.
Im Koran ist nicht von Adam und Eva sondern von Adam und „Zawdj“ die Rede. „Zawdj“ bedeutet dabei Partnerwesen und ist geschlechtlich neutral. Auch die Schöpfung aus der Rippe sowie die Erbsünde kommen im Koran nicht vor.
Die Feministische Koranexgese beruht auf dem Vers (4:1):
„Ihr Menschen! Fürchtet euren Herrn, der euch aus einem einzigen Wesen (arab. nafs) geschaffen hat, und von der gleichen Art das ihm entsprechende andere Wesen/seinen Partner (arab. zawdj), und der aus ihnen beiden viele Männer und Frauen hat (hervorgehen und) sich (über die Erde) ausbreiten lassen.“
Hier ist die Rede von „nafs“ und „zawdj“, denen im Koran konzeptuell kein Geschlecht zugeordnet wird. Mann und Frau entstehen aus der undifferenzierten menschlichen Schöpfung, was für eine geschlechtergerechte Lesart eine gute Basis darstellt. Auch in Sure (33:35) wird von Frau und Mann Gleichheit in moralischen Tugenden und in rechtgeleitetem Handeln gefordert, die zur Stärkung dieser Argumente führt. Auch in Sure (9:71) wird der gegenseitige Schutz beider Geschlechter verordnet. Ein weiterer sehr wesentlicher Vers (30:21) charakterisiert die Beziehung zwischen den Geschlechtern auf emotionaler Ebene.
Die Interpretation des Korans ist ein fortlaufender Prozess, der nie abgeschlossen werden kann. Einen Hinweis für diese Offenheit, liefert der Koran selbst.
So werden Reformen im Koran stets graduell etabliert. Die sukzessive Einführung von Veränderungen zeigt, dass der Koran zwar die Richtung einer notwendigen Veränderung vorgibt, diese Veränderung im Koran jedoch keineswegs abgeschlossen sein muss.
Die Lehre von der Abrogation liefert ein Zeugnis für die schrittweise Einführung von Reformen. Der Koran will hier offensichtlich darauf hinaus, dass die Menschen als mündige, reflektierende Wesen weiter fortdenken, was im Koran angestoßen wird.
Ein Beispiel für die intratextuelle Argumentation stellt die Exegese der Polygamie dar:
Das Gewährleisten der Gerechtigkeit ist ein notwendiges Kriterium für die Schließung von Mehrehen (vgl. Koran 4:3). Dieses Kriterium wird jedoch vom Koran wieder eingeschränkt:
Es sei nicht möglich gerecht zu sein (vgl. Koran 4:129).
Die Polygamie wiederspricht dazu dem Leitbild der Gerechtigkeit und Gleichheit.
Nach feministischer Lesart ist der Vers 4:3 daher als schrittweise Abschaffung der Polygamie und nicht zur Etablierung dieser zu verstehen.
Die dritte Methode, die in der feministischen Exegese benutzt wird, ist die sogenannte Tawhid-Methode, welche nur eine sehr begrenzte Verbreitung findet. Es soll damit der Eingott-Glaube auf jeder Ebene des menschlichen Handelns wiederzufinden sein, die keine Instanz zwischen Gott und dem Menschen vorsieht. Aus diesem Grund kann auch der Mann als Instanz nicht über der Frau stehen, welches eine Form von Vielgötterei (shirk) bedeuten würde. Mit diesem Grundprinzip lässt sich jede Koranauslegung kritisieren, die gegen die Gleichheit zwischen Frauen und Männern gerichtet ist.
Frau Omari meint, dass die feministische Koranexegese sehr viel geleistet hat, um für eine geschlechtergerechte Leseart des Korans zu sorgen. Diese sei jedoch durch die selektive Auswahl von Versen angreifbar. Zudem wäre es wichtig, dass die feministische Lesart an klassische Koranexegesewerke anknüpfen kann, die nicht komplett als patriarchalisch gesehen werden.