Wisse! um die Paradiesgärten auf Erden.

„Ist etwa einer, der sich zu (verschiedenen) Stunden der Nacht in demütiger Andacht befindet, (ob er) sich niederwirft oder aufrecht steht, der sich vor dem Jenseits vorsieht und auf seines Herrn Barmherzigkeit hofft (einem gleich, der dies nicht tut) …? – Sag: Sind etwa diejenigen, die wissen, und diejenigen, die nicht wissen, gleich? Doch bedenken nur diejenigen, die Verstand besitzen.“ (Zumar 39:9)

(Zumar 39:9) .مَّنۡ هُوَ قَـٰنِتٌ ءَانَآءَ ٱلَّيۡلِ سَاجِدً۬ا وَقَآٮِٕمً۬ا يَحۡذَرُ ٱلۡأَخِرَةَ وَيَرۡجُواْ رَحۡمَةَ رَبِّهِۦ‌ۗ قُلۡ هَلۡ يَسۡتَوِى ٱلَّذِينَ يَعۡلَمُونَ وَٱلَّذِينَ لَا يَعۡلَمُونَ‌ۗ إِنَّمَا يَتَذَكَّرُ أُوْلُواْ ٱلۡأَلۡبَـٰبِ

„Wissen zu erwerben ist jeder Muslima und jedem Muslim eine Pflicht und Notwendigkeit“ (Hadith, überliefert von Muslim)

Verehrte Gläubige,

Im Lichte des oben vorgetragenen Verses erkennen wir zum einen, dass die Stufe eines Wissenden nicht die gleiche ist, wie die eines Unwissenden. Dieser Unterschied beider wird jedoch am Anfang des Verses (39:9) nochmals differenziert. So ist an das Wissen u.a. ein demütiger Gottesdienst in der Nacht gebunden, eine ehrfürchtige und verantwortungsbewusste Haltung gegenüber das Jenseits sowie die Hoffnung auf die Barmherzigkeit Gottes. Aber auch auf den Verstand als eine Voraussetzung für Wissen und Glauben wird hingewiesen.
Ebenso einher gehen mit diesem Vers auch die Verse 3:113 und 114 aus der Sure Al-i Imran (vgl. Tafsir Ibn Kathir) , in dem eine differenzierte und respektvolle koranische Grundhaltung gegenüber den Buchbesitzern – den Juden und Christen – ersichtlich wird. Denn diejenigen unter den Buchbesitzern, die demütig ihren Gottesdienst in der Nacht leisten, an den jüngsten Tag glauben, Recht und Gerechtigkeit walten lassen und in guten Werken wetteifern, gehören zu den Rechtschaffenen und zu denen, die Belohnung bei Gott finden werden.

Der Prophet (ﷺ – Friede und Segen seien mit ihm) verdeutlichte mit seinen Worten, „Wissen zu erwerben ist jeder Muslima und jedem Muslim eine Pflicht und Notwendigkeit“, die Wichtigkeit des Wissens und der Gelehrsamkeit. Dieses Wissen ist an eine gewisse Bildung geknüpft, die weltliches und religiöses Wissen ebenso impliziert, wie die Ausformung einer individuellen Persönlichkeit zusammen mit dem menschlichen Charakter. Ebenso ist Wissen und der Durst danach eine Tugend, die der Mensch mit sich trägt und ihn unterscheidet von dem Rest der Geschöpfe auf Erden.

Wertschätzung findet Wissen und Gelehrsamkeit auch in den Worten des Propheten: „Die Gelehrten sind die Erben der Propheten.“ Sie tragen also mit sich die Verantwortung das Wissen über Gott und die Welt ihren Mitmenschen ersichtlich und greifbar zu machen und ebenso die Aufgabe die gesellschaftliche Bildung fortzuführen.

Wissen allein genügt jedoch noch nicht, dass der Mensch die Leiter der Vervollkommnung und Zufriedenheit Gottes erklimmt. Viel mehr gehört dazu, dass das mit sich getragene Wissen zu einer Quelle für Erkenntnis (ma’rifa) und Glaube (Iman) wird. Getragen durch Erkenntnis und Glaube obliegt es dem Menschen dieses wiederum umzuwandeln in Handlung (amel). Zum Handeln gehören die guten Taten genauso wie eine der unbekannteren Säulen des Islam und der Leitsatz: das Gute zu gebieten und vom Schlechten abzuhalten (amr bil-ma’ruf wa-nahy `ani-l-munkar).

Der Glaube trägt also in sich eine gewisse Haltung des Menschen seinem Schöpfer gegenüber. Erst durch die tugendhafte Haltung des Leitsatzes – das Gute zu gebieten und vom Schlechten abzuhalten-, entfaltet sich der Glaube an Gott im Herzen und Verstand des Menschen und der gute Charakter des Menschen manifestiert sich in seinem Dasein. Diese Tugendhaftigkeit sollte geschmückt werden mit Aufrichtigkeit (ikhlas), denn erst die Aufrichtigkeit lässt die tugendhafte Handlung wahrhaft zur Anerkennung Gottes führen.

All dieser Prozess und Weg der Menschwerdung ist gebunden an eine ständige Auseinandersetzung des Menschen mit sich selbst und seinem Ego. Dieser Auseinandersetzung – auch als großer Dschihad bezeichnet – muss der Gläubige stets bewusst sein und nach Aufrichtigkeit in den guten Taten trachten sowie seine Zeit auf Erden und in den Paradiesgärten auf Erden gut nutzen.
Wo jedoch befinden sich die sog. Paradiesgärten auf Erden, mag man sich fragen?
Der Prophet (ﷺ) antwortete Abu Hurayra auf die Frage: „O Prophet, wo befinden sich denn die Paradiesgärten?“, mit folgenden Worten: „Die Paradiesgärten: das sind die Gebetsstätten/Moscheen.“ „Und wie sollen wir nun die Zeit darin sinnvoll nutzen?“, fragte Abu Hurayra weiter und der Prophet (ﷺ)  riet ihm: „Subhanallah, Alhamdulillah, La ilaha illallah und Allahu akbar sprechen!“.
Also erst der Lobpreis Gottes, der Dank an Ihn, die Bezeugung seiner Einheit, Einzigartigkeit, Barmherzigkeit und Größe machen unserer Gebetsstätten zu wahren Paradiesgärten auf Erden. Sie sind der Schmuck und der Lohn, den wir ebenso mitnehmen werden ins Jenseits und die unser Grab und unser jenseitiges Leben erleuchten werden.

In diesem Sinne liebe Geschwister,
Lasst auch uns unsere Zeiten in den Versammlungsorten und Moscheen stets sinnvoll nutzen und mögen uns stets jene Worte und Formeln begleiten in unseren Gebeten und Gebetsstätten.

So beten wir: „O Gott! Hilf mir, Deinem Weg zu folgen. Unterstütze mich in meinem Bestreben, Dich stets zu preisen, Deiner zu gedenken und Dein ergebener Diener zu sein. Und versage mir Deine Güte nicht!“ Amin

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Osman Örs

Islamwissenschaftler / Theologischer Referent und Imam des House of One