Das Auge hat einen Schutzengel – Engelwelten im Islam

Das Auge hat einen Schutzengel – Engelwelten im Islam

Am 21.11.2019 fand die sechste und somit die letzte Veranstaltung der Reihe „Islam kompakt – Muslime erzählen“ statt, in der dieses Jahr überwiegend die Glaubensgrundsätze des Islam erklärt wurden. Das Thema war “Das Auge hat einen Schutzengel – Engelwelten im Islam”. Die Veranstaltung fand in den Räumlichkeiten des Forum Dialog statt.

 Der Referent Dr. Mahmoud Abdallah studierte Germanistik, Islamische Theologie und Arabistik an der Universität Al-Azhar in Kairo. Er promovierte an der Philologischen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf. Abdallah lehrte an den Universitäten in Kairo, München, Istanbul und Tübingen. Derzeit ist er Dozent am Institut für islamische Theologie und Religionspädagogik an der Universität Innsbruck.

Abdallah begann seinen Vortrag mit zwei Sprichwörtern: Im deutschen Sprachgebrauch ist der Spruch „Du hast einen Schutzengel“ sehr bekannt. Das arabische Pendant dazu lautet: „das Auge hat einen Schutzengel“. Diese zwei Redewendungen zeigen, dass die Vorstellungen über die Engel nicht allein über die Theologie zu erschließen sind, sondern, dass auch das jeweilige „Engelbild“ kulturell geprägt ist. 

Seinen Vortrag gliederte Abdallah in drei inhaltliche Aspekte: Engel im Koran, Engel in der Glaubenslehre als dogmatisches Thema und Engel im Volksglauben.

Engel im Koran: 

Die zweite Sure, al-Baqara, weist auf den ersten Kontakt zwischen dem Menschen und der Engel hin. Dort wird von der Schöpfungsgeschichte des ersten Menschen Adam berichtet: 

„Und als dein Herr zu den Engeln sagte: “Ich bin dabei, auf der Erde einen Sachwalter einzusetzen”, da sagten sie: “Willst Du auf ihr etwa jemanden einsetzen, der auf ihr Unheil stiftet und Blut vergießt, wo wir Dich doch lobpreisen und Deiner Heiligkeit lobsingen?” Er sagte: “Ich weiß, was ihr nicht wisst.” Und Er lehrte Adam die Namen aller. Hierauf legte Er sie den Engeln vor und sagte: “Teilt Mir deren Namen mit, wenn ihr wahrhaftig seid!” Sie sagten: “Preis sei Dir! Wir haben kein Wissen außer dem, was Du uns gelehrt hast. Du bist ja der Allwissende und Allweise.” Er sagte: “O Adam, teile ihnen ihre Namen mit!” Als er ihnen ihre Namen mitgeteilt hatte, sagte Er: “Habe Ich euch nicht gesagt, Ich kenne das Verborgene der Himmel und der Erde, und Ich weiß auch, was ihr offenlegt und was ihr verborgen zu halten sucht?” Und als Wir zu den Engeln sagten: “Werft euch vor Adam nieder!” Da warfen sie sich nieder.“ (El-Baqara 2:30-35)

Diese koranische Erzählung zeigt, dass die menschliche Beziehung zu den Engeln uralt ist. Laut diesen Versen haben die Engel gegen Adam protestiert. Allerdings änderte sich Stellungnahme der Engel gegenüber den Menschen und sie wurden im Auftrag Gottes zu Helfern und Begleitern der Menschen. Daraus schließt Abdallah: “Daher sind im Islam nicht direkt die Engel die Beschützer,  sondern es ist ausschließlich Gott, der Seine Geschöpfe schützt und schützen lässt.” Man wünsche sich also nicht den Beistand der Schutzengel, sondern den Beistand Gottes, so Abdallah.

Aber wie spricht der Koran von den Engeln? Im Koran erscheint der Begriff „Engel“ in unterschiedlichen Sprachformen, etwa 88 Mal. Die arabische Bezeichnung für Engel „melek“ wird von dem arabischen Verb „elek“ abgeleitet, welches so viel wie „senden“ und „zuschicken“ bedeutet. Sie werden so bezeichnet, weil sie die Boten Gottes sind: 

„Lob sei Gott, dem Schöpfer der Himmel und der Erde, der die Engel zu Boten gemacht hat mit Flügeln, je zwei, drei und vier! Er fügt der Schöpfung hinzu, was Er will. Gott hat Macht zu allen Dingen“ (Al-Fāṭir 35:1). 

Die Engel unterscheiden sich in ihrer Schöpfung, ihren Eigenschaften und Aufgaben von den Menschen und den Djinn. Aus islamischer Sicht sind Engel unsichtbare Geschöpfe, die aus Licht (nūr) erschaffen worden sind. Sie essen nicht, trinken nicht, haben keinen Geschlechtsverkehr und bekommen keine Kinder. Diese Unterscheidung zeigt auf, dass Engel keine Neigungen haben. Sie sind ständig beim Gottesdienst oder im Auftrag Gottes unterwegs. Ihre Zahl ist unbekannt, aber sie sollen sehr viele sein, sodass Gott das Wissen über Ihre Zahl für sich behält: „Aber niemand weiß über die Heerscharen deines Herrn Bescheid außer Ihm.“ (El-Muddeththir 74:31). Einer prophetischen Überlieferung zufolge gibt es keinen fußgroßen Platz im Himmel, in dem sich kein Engel betend befindet. Der Koran betont an mehreren Stellen, wie gehorsam die Engel sind. Abdallah wies auf den 6. Vers der Sure Et-Taḥrīm (66:6) hin, wo von Engeln die Rede ist, die sich Gott nicht widersetzen in dem, was er ihnen befiehlt, sondern tun, wie ihnen befohlen wird. Ebenso deutete er auf 26. Vers der Sure El-Muʾminūn (23:26) hin, der auf die Existenz von unzähligen Engel hinweist.

Engel in der Glaubenslehre 

Die Engel haben nach islamischer Lehre unterschiedliche Rangstufen, Aufgaben und Eigenschaften. Es gibt persönliche Engel für Menschen, für Wolken und Regen, für Gebirge, für Embryos, für die Sonne, den Mond, die Sterne, die Meere und Flüsse usw. Es gäbe sogar für den Trost einen Engel, dieser soll die Menschen in Notlage und bei Schicksalsschlägen trösten und ihnen Kraft geben. Auch beim Betreten des Friedhofs, bei einer Beerdigung eines Bekannten, befindet sich ein zuständiger Engel, welcher für die Betroffenen betet, sodass sie schnellstmöglich Trost finden und sich ihrem Alltag zuwenden können. Ebenso ist ein Engel damit beauftragt die Namen derer zu registrieren, die Gott mit Seinen Lieblingsnamen „Allerbarmer, Allbarmherzige“ rufen. Abdallah führte aus, dass selbst beim Jüngsten Tag die Engel mit verschiedenen Aufgaben beauftragt sein werden, unter anderem für die Auferstehung, das Höllenfeuer und für das Paradies. 

Namentlich kommen lediglich fünf Engel im Koran vor: Gabriel (El-Baqara 2:97), Michael/Mikael (El-Baqara 2:98), Malik (El-Hudjurāt 43:77) und Hārūt und Mārūt (El-Baqara 2:102). Nichtsdestotrotz werden weitere Engel implizit erwähnt und mit ihren Aufgaben beschrieben. Hierfür wird der Todesengel (As-Sadjda 32:11), die Schreiber (El-Djumʿa 62:9-11) und die Träger des Throns (El-Muʾmin 40:7) erwähnt. 

Abdallah ging an dieser Stelle näher auf dieser Schreiber-Engel ein: Jeder Mensch habe individuelle Schreiber-Engel, der eine säße auf der rechten und der andere auf der linken Schulter. Der auf der rechten Schulter anwesende Engel verzeichnet die guten und der andere die schlechten Taten, so heißt es: „Und gewiss über euch sind doch Bewahrende, die ehrwürdig registrierend sind, sie wissen, was ihr macht.“ (El-Djumʿa 62:9-11). Dieser Prozess weist auf zwei wichtige Aspekte im Leben einer/eines Muslim/in hin; zum Einen soll er/sie die Kontrolle über sich selbst haben und auf sein/ihr Gewissen achten, gerade wenn keiner ihn/sie sieht, denn: alles wird registriert. Zum anderen demonstriert dieser Prozess die Gerechtigkeit Gottes am Tag der Auferstehung. Ein weiterer Aspekt der Aufsicht durch die Engel erschließe sich durch Erläuterungen in prophetischen Überlieferungen: Engel geben dem Menschen beim „Entgleisen“ Hoffnung auf Wiedergutmachung und räumen ihm eine Chance für Umkehr ein. So berichtet eine dem Propheten zugeschriebene Überlieferung, dass der Engel auf der linken Seite dem Menschen nach dem Begehen einer Sünde sechs Stunden Zeit gewährt, sodass er bzw. sie Reue zeigen kann. Täte er bzw. sie das, würde diese Tat nicht registriert werden. Verbunden mit dem Registrierungs- und Gerichtsprozess nach dem Tod, sind weitere zwei Engel sehr populär: Munkar und Nekīr. Nach der Beerdigung werden diese beiden Engel den Verstorbenen im Grab aufsuchen, um sie – vor dem eigentlichen großen Gericht – zu befragen. 

Die Engel sind nach islamischer Lehre insbesondere da präsent, wo es um gute Handlungen geht. In den Moscheen am Freitag registrieren sie, wer zuerst in der Moschee zum Freitagsgebet erschienen ist. Auch beim Besuch eines Kranken pflegen die Engel für den Besucher, während seines gesamten Aufenthaltes, Bittgebete zu halten. Auch Lehrkreise werden von den Engeln begleitet und gesegnet.

Im Anschluss auf diese Ausführung ging Abdallah auf die vier sogenannten Erzengel ein. Gabriel hat die höchste Rangstufe unter den Engeln. Er ist für die Offenbarungen zuständig und gilt als der Bote zwischen Gott und Seinen Gesandten. Gabriel war ebenso der Engel, der Abraham die frohe Botschaft überbracht hatte, einen Nachkommen zu bekommen. Auch sei er der beauftragte Engel gewesen, der Maria das Empfangen eines Kindes ankündigte. Die prophetische Überlieferungen schreiben den Engeln besondere, übernatürliche Eigenschaften zu. Eine Überlieferung erzählt davon, dass Gabriel 600 Flügel habe soll, sodass die Entfernung zwischen seinen beiden Schultern so groß sei, dass ein Vogel für die Reise dazwischen 700 Jahre Zeit benötige. Michael soll für die Vorgänge in der Natur zuständig sein und dafür, dem Menschen Versorgung bzw. Lebensunterhalt zu überbringen. Israfil (auch als Raphael bekannt) hat die Aufgabe am Tag der Auferstehung in das Horn (ṣūr) zu pusten. Wenn der Jüngste Tag ansteht, soll er im Auftrag Gottes ins Horn blasen, sodass alle Geschöpfe sterben, was wir aus folgendem Vers entnehmen können: 

„Und (denke an) den Tag, da ins Horn geblasen wird und da (all) diejenigen erschrecken, die in den Himmeln und die auf der Erde sind, außer wer Gott will. Und alle kommen in Demut zu Ihm.“ (An-Nahl 27:87).

Azrael (arab. ʿIzrāʾīl) ist nach islamischer Lehre der Engel des Todes. Im Koran wird der Engel des Todes ausdrücklich erwähnt: „Sag: Abberufen wird euch der Engel des Todes, der mit euch betraut ist, hierauf werdet ihr zu eurem Herrn zurückgebracht.“ (As-Sadjda 32:11). Dieser wird als Azrael identifiziert, jedoch wird er weder im Koran noch in einer authentischen Überlieferung mit Azrael betitelt. Viele Aspekte seiner Legende sind hingegen durch Volksglauben belegt. Azrael trennt die Seele des Menschen vom Körper und bringt dadurch den Tod. Dabei handelt es sich nicht um den eigenen Willen, sondern ist im Auftrag Gottes unterwegs. 

„Der Gesandte (Gottes) glaubt an das, was zu ihm von seinem Herrn (als Offenbarung) herabgesandt worden ist, und ebenso die Gläubigen; alle glauben an Gott, Seine Engel, Seine Bücher und Seine Gesandten.“ (El-Baqara 2:285). 

Schaut man sich diesen Vers genauer an, stellt man fest, dass der Glaube an die Existenz der Engel nicht nur zu den zentralen Glaubensgrundsätzen im Islam zählt, sondern direkt an zweiter Stelle nach dem Glauben an Gott kommt. Der Glaube an Gott bildet allerdings den Grundstein des Glaubens.

Engel im Volksglauben 

Auch im Volksglauben spielen Engel eine Rolle, die sehr positiv konnotiert sind. Sie sind in Redewendungen, wie „Das Auge hat einen Schutzengel“ oder „Du bist ein Engel(chen)“, aber auch im volkstümlichen Glauben präsent. Engel werden mit Wesen assoziiert, die im Auftrag Gottes für das Wohlergehen des Menschen und für das Gute zuständig sind. Ebenso existiert die Vorstellung, dass die Engel sich um die Kinder kümmern. Wenn Babys ohne Grund zum Lachen anfangen, so glaubt man, dass sie von den Engeln zum Lachen gebracht worden sind. Des Weiteren glauben MuslimInnen daran, dass die Engel in einer Art „Schichtaufteilung“ im Auftrag Gottes unterwegs sind, dieses Glauben ist auch theologisch mit einer der Überlieferungen des Propheten Muhammed ( ﷺ – Friede und Segen seien auf ihm) wiederfindbar. So berichtet eine Überlieferung, dass die Engel sich tagsüber und in der Nacht ablösen. Eine „Schicht“ dauert vom Nachmittagsgebet ʿAṣr bis zum Morgengebet fağr an. Demzufolge genießen diese beiden Gebete, unter den fünf Hauptgebeten, besondere Aufmerksamkeit. Der Wunsch ist demnach, dass der Engel bei seiner Verabschiedung die von ihm begleitete Person in einer guten Handlung sieht, sodass er nur Gutes über ihn/sie berichten kann.




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