Muharram – Zwischen Trauer und Hoffnung

“Wahrlich, die Zahl der Monate bei Allah beträgt zwölf Monate; (so sind sie) im Buche Allahs (festgelegt worden) seit dem Tage, da Er die Himmel und die Erde erschuf. Von diesen (Monaten) sind vier heilig. Das ist die beständige Religion. Darum versündigt euch nicht in diesen (Monaten).” (Tawba 9:36)
(Tawba 9:36) .إِنَّ عِدَّةَ ٱلشُّہُورِ عِندَ ٱللَّهِ ٱثۡنَا عَشَرَ شَہۡرً۬ا فِى ڪِتَـٰبِ ٱللَّهِ يَوۡمَ خَلَقَ ٱلسَّمَـٰوَٲتِ وَٱلۡأَرۡضَ مِنۡہَآ أَرۡبَعَةٌ حُرُمٌ۬‌ۚ ذَٲلِكَ ٱلدِّينُ ٱلۡقَيِّمُ‌ۚ فَلَا تَظۡلِمُواْ فِيہِنَّ أَنفُسَڪُمۡ‌ۚ
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„Das beste Fasten nach dem Ramadan ist das Fasten im Gottesmonat Muharram. Und das beste Gebet nach dem Pflichtgebet ist das Gebet in der Nacht.“ (Hadith, überliefert von Muslim und Ahmed)
(أفضل الصيام بعد رمضان شهر الله المحرم، وأفضل الصلاة بعد الفريضة صلاة الليل. (رواه مسلم وأحمد وغيرهما
Verehrte Gläubige,
Seit diesem Dienstag sind wir in einen besonderen und gesegneten Zeitabschnitt eingetreten, nämlich den Gottesmonat Muharram. Wir haben unser muslimisches Neujahr erreicht und befinden uns nun im Jahr 1440 n. H.
Im vorangegangenen Vers berichtet uns Allah über diesen Monat wie folgt: “Wahrlich, die Zahl der Monate bei Allah beträgt zwölf Monate; (so sind sie) im Buche Allahs (festgelegt worden) seit dem Tage, da Er die Himmel und die Erde erschuf. Von diesen (Monaten) sind vier heilig. Das ist die beständige Religion. Darum versündigt euch nicht in diesen (Monaten).” (Tawba 9:36)
So rufen wir uns in Erinnerung, dass wir uns in einem der sogenannten vier heiligen Monate befinden, dem Monat Muharram. Ein Monat der dem Monat der Pilgerfahrt Dhul-Hijja folgt und in dem seit Anbeginn des Islam, die Pilger in Sicherheit und Frieden wieder in ihre Heimat zurückkehren sollen. Ein Monat, in dem wir, wie es heißt im Vers, uns “nicht versündigen sollen”.
Denn jeglicher Fehltritt bzw. jegliche Sünde wird – in diesen von Gott hervorgehobenen Zeitabschnitt- gesondert geschrieben. Die edlen Schreiber-Engel, die unsere Taten aufschreiben, sind in dieser Zeit besonders sensibel und auch wir sollten dies sein.
Die Gelehrten schlussfolgern: gleichzeitig wird jede gute Tat in diesen Monaten aber auch mehrfach belohnt. So ist diese Zeit eine gute Möglichkeit der Rückbesinnung und Reflexion, in der Herzen ihre Ruhe finden sollen, so wie es heißt in der Sure Ra’d Vers 28: “Wahrlich, im Gedenken Gottes werden die Herzen Ruhe finden.” (Ra’d 13:28).
Die Gläubigen tragen also in diesen Monaten eine größere Bürde und Verantwortung vor ihrem Schöpfer, der Schöpfung und ihren Mitmenschen und es ist eine gesegnete Zeit und Möglichkeit sich zu läutern.
 
Liebe Geschwister,
Darüberhinaus trägt der erste Monat Muharram aber auch viele andere Ereignisse der Menschheitsgeschichte in sich, an die wir uns in diesem Monat ebenso erinnern.
So, erinnern wir uns dieser Tage an Moses, Friede sei mit ihm, und den Sieg der Israeliten gegen den Gewaltherrscher Pharao, die in einer hoffnungslosen Situation den Glauben und das Vertrauen an Gott nicht aufgaben und errettet wurden, durch ein Wunder Gottes.
Im Koran wird wie folgt darauf hingewiesen: “Darauf offenbarten Wir Moses: `Schlage das Meer mit deinem Stock.´ Und es teilte sich, und jeder Teil erhob sich wie ein gewaltiger Berg. Und Wir ließen alsdann die anderen nahe herankommen. Und Wir erretteten Moses und alle, die mit ihm waren. Dann ertränkten Wir die anderen. Hierin ist wahrlich ein Zeichen; doch die meisten von ihnen glauben es nicht.” (Schu’ara 26:63-67)
Also auch an dieses Zeichen und Wunder möchte geglaubt werden und es ist eine Ermahnung an die Pharaonen von gestern wie heute.
Wenn wir eine parallele zu heute ziehen, erkennen wir, dass auch heute andere Pharaonen und Gewaltherrscher ihre Gräuel, Skrupellosigkeit und Unterdrückung andere Menschen spüren lassen. Aber wir sind hoffnungsvoll, denn wer weiß, wie viel andere Moses-Charaktere heute in den Palästen anderer Pharaonen in der Wiege liegen und sie an dem von Gott bestimmten Tag vom ihrem Thron stürzen werden. Dies sollte uns stets Zuversicht geben, denn Gottes Weisheit ist unergründlich.
 
Verehrte Gläubige,
in den Überlieferungen des Propheten (ﷺ – Friede und Segen seien mit ihm) finden wir die Empfehlung des Fastens am 9. Und 10. Tag des Monats Muharram, um uns an dieses Ereignis zu erinnern. Und der Prophet (ﷺ) spricht ebenso: “Das beste Fasten nach dem Ramadan ist das Fasten im Gottesmonat Muharram.“ (Hadith, überliefert von Muslim)
Das Fasten ist in diesem Sinne gebunden an den Dank an die Errettung und dem Sieg der Gläubigen vor dem ungerechten Herrscher Pharao. Und in einer anderen Überlieferung sowie im Koran wird auch an die Errettung Noahs, Friede sei mit ihm, und der Menschheit vor der Sintflut erinnert, denn in diesem heiligen Monat strandete sein Schiff auf dem Berg Dschudi.
In der Sure Al-Hud heißt es: “Und es wurde befohlen: `O Erde, verschlinge dein Wasser, o Himmel, höre auf (zu regnen)!´ Und das Wasser begann zu sinken, und die Angelegenheit war entschieden. Und das Schiff kam auf dem Dschudyy zur Rast. Und es wurde befohlen: `Fort mit dem Volk der Frevler!´” (Al-Hud 11:44)
All diese Ereignisse deuten von der Barmherzigkeit Gottes und sind uns Quelle der Zuversicht und Hoffnung, die wir in diesen Tagen des Neujahres mit uns tragen.
Jedoch trübt ein besonderes historisches Ereignis diese Tage, die uns daran hindern, sich auf das neue Jahr wirklich zu freuen und zu feiern, denn der 10. Muharram wird ebenso begleitet von einem der traurigsten und dramatischsten Ereignisse in der islamischen Geschichte, nämlich der Tötung des Enkelkindes des Propheten (ﷺ), Hussein und seiner Familie. Zusammen mit ihnen wurden ca. 30-40 Menschen (auch Frauen und Kinder) von dem damaligen skrupellosen Gewaltherrscher Yazid in der Wüste in der Nähe der irakischen Stadt Kerbela auf schlimmste und grausamste Art hingerichtet.
Diese Trauer begleitet alle Muslime weltweit. Und in der Schiitischen und Alewitischen Tradition wird diesem Ereignis durch ein 12 Tage langes Trauer-Fasten besondere Bedeutung und Erinnerung geschenkt, dass die Sunniten mit Achtung und Respekt begegnen sollten. Auch unsere Herzen trauern zusammen mit unseren Alewitischen und Schiitischen Geschwistern und diese Zeit sollte eine Zeit der Verbundenheit sein.
So lasst auch uns diese Tage in Erinnerung daran fastend verbringen wie unser geliebter Prophet (ﷺ) es zu tun pflegte am 9. und 10. Tag des Muharram, wie es in unseren Quellen überliefert wird.
 
Liebe Geschwister,
Abschließend folgern wir: Zunächst trägt der Gottesmonat Muharram insbesondere in diesem Jahr ein Zeichen der Verbundenheit und Geschwisterlichkeit in sich, denn genau wie wir in ein neues Jahr gekommen sind und uns an Moses und die Errettung der Israeliten oder an Noah und die Errettung der Menschheit erinnern, sind auch unsere jüdischen Mitmenschen und Geschwister parallel mit uns Muslimen in ein neues Jahr gekommen. In diesem Sinne fühlen wir uns verbunden mit ihnen und wünschen ihnen ein gutes und gesegnetes Jahr.
Zum anderen begleitet uns ebenso das traurige Ereignis von Kerbela und die Ermordung der Familie des Propheten (ﷺ). Dies sollte uns in diesen Tagen dienen, inner-konfessionell Brücken zu bauen. So lasst uns diese Tage der Annäherung nutzen: auf der einen Seite unseren jüdischen Mitmenschen zu ihrem Neujahr beglückwünschen und auf der anderen Seite die Bande der Zwischenmenschlichkeit mit unseren alewitischen und schiitischen Geschwistern stärken durch gegenseitigen Besuch und das Teilen der Trauer.
Insbesondere in Zeiten wie diesen an denen weltweit manche versuchen zu spalten und Feindschaft zu säen, lasst uns nach Versöhnung, Zusammenhalt und Frieden streben. Möge Gott uns allen beistehen und der gesamten Menschheit einen gesegneten und friedlichen Neubeginn schenken. Amin.
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Osman Örs

Islamwissenschaftler / Theologischer Referent und Imam des House of One