Glaubenspraxis im Islam: „Fasten macht satt“

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FASTEN MACHT SATT

Im Rahmen unseres Projektes „Islam kompakt – Muslim:innen erzählen“ haben wir am 16.03.2023 kurz vor Ramadan zum Gesprächsabend mit dem Titel „Fasten macht satt“ mit Herrn Dr. Ghassan El Masri eingeladen. In dieser Reihe wurden die fünf Säulen des Islams thematisiert. Diese Veranstaltung war die erste in dieser Reihe.

Herr Dr. El Masri arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Bayerischen Forschungszentrum für Interreligiöse Diskurse in Erlangen und ist Referent zum Thema Interreligiöses Engagement und glaubensbasierte Diplomatie.

Der Referent begann seinen Vortrag mit den grundlegenden Informationen über das Fasten und legte seinen Fokus mehr auf die spirituellen Aspekte dieses Gottesdienstes als auf historische oder normative Aspekte des Fastens. Zuletzt sprach er über das vorislamische und koranische Verständnis der Nacht, im spezifischen der Nacht der Bestimmung.

Das Fasten, arabisch ṣawm, ist eine besondere Form des Gottesdienstes. Es gehört zu den fünf Säulen des Islam, zu den Hauptpflichten, die Muslim:innen als Gottesdienst durchführen. Die anderen Säulen sind das Glaubensbekenntnis des Islams, d. h. das Bezeugen der Einheit Gottes und der Prophetenschaft Muhammeds (F.s.m.i.), das tägliche fünfmalige Hauptgebet, die Pilgerfahrt zum Gotteshaus in Mekka und die Entrichtung der Zakat.

Es wurden die Koranverse zitiert, die das Fasten und die Fastenzeit im Monat Ramadan festlegen, wobei in diesen Versen auch eine Verbindung zwischen dem Monat Ramadan und der Offenbarung erkennbar wird:

„Ihr, die ihr glaubt, euch ist das Fasten vorgeschrieben, wie es denen vorgeschrieben war, die vor euch waren, damit ihr vielleicht gottesfürchtig werdet.“ (2:183).

„(Fastenzeit ist) der Monat Ramadan, in dem der Koran (erstmals) als Rechtleitung für die Menschen herabgesandt worden ist, und (die einzelnen Koranverse) als klare Beweise der Rechtleitung und der Unterscheidung.“ (2:185)

Die arabische Etymologie des Wortes Ramadan bedeutet Trockenheit und Hitze, al-Ramḍāʾ ist die Wüste. Al-ṣawm bedeutet Enthaltung.

Der Begriff „ṣawm“ taucht noch einmal im Kontext der Geschichte von Maria unmittelbar nach der Geburt ihres Sohnes auf: „So iss und trink und beruhige (dein) Auge. Und wenn du einen Menschen siehst, so sprich: „Ich habe dem Allerbarmer ein Fasten gelobt, darum will ich heute zu keinem Wesen reden.““ Etwas Ähnliches wird Zakariya geboten, als er die Geburt seines Kindes Yaḥya erwartet. Herr El-Masri interpretiert dies auf eine originelle Weise: „Aus einer interreligiösen Perspektive, insbesondere durch die Logos-Theologie, kann man hier vielleicht behaupten, dass Offenbarung und Fasten miteinander verbunden sind.“

So stellt er fest, dass der Fastenmonat Ramadan und die Offenbarung des Korans im Islam eng miteinander verbunden sind: In der Tradition ist der Ramadan der Monat des Korans. Im Laufe seines Vortrags argumentiert der Referent, dass das Fasten, die Nacht und die Offenbarung im Koran fast ein Dreieck darstellen.

Als rein physischer Gottesdienst oder Ritual, bedeutet Fasten, dass Muslim:innen von Beginn der Morgendämmerung bis zum Sonnenuntergang keine Nahrung zu sich nehmen und sich des körperlichen Kontakts mit dem Ehepartner bzw. der Ehepartnerin enthalten. Das bedeutet, sich all dessen zu enthalten, was zum Überleben und zur Fortpflanzung als Mensch notwendig ist. Ohne das Streben nach Leben und ohne körperliche Freude bereitet sich der Gläubige auf das ewige Leben vor, auf seelische Freude. „Statt der Aufregung genießt man die Ruhe und erkennt durch die Entbehrung die Erfüllung.“, so El-Masri.

Aber nicht nur das, was in den Mund hineingehe, sei wichtig, sondern auch das, was herauskomme. Muslim:innen achten im Ramadan noch mehr als sonst darauf, nichts Schlechtes zu sagen, zu hören oder zu tun. Zahlreiche prophetische Überlieferungen und Koranverse ermutigen dazu und bestätigen das.

Ein Merkmal der Fastenzeit sei die Unklarheit und Unsicherheit der Zeiten. Während die Pilgerzeit oder die Gebetszeiten eindeutig und klar seien, sei die Fastenzeit unklar: Hat der Monat Ramadan begonnen? Wann ist das Ramadanfest? Wann ist Laylat al-Qadr, also die Nacht der Bestimmung?

In dieser zeitlichen Ungewissheit liege eine bedeutsame Lehre: „Wir wissen nie, wann Gottes Barmherzigkeit kam oder kommt, aber wir wissen sicher, dass sie gekommen ist und dass sie immer wieder kommt. Wir erleben sie jeden Tag, jeden Moment. Die zeitliche Spannung, die Muslim:innen erleben, jeden Ramadan, ist hoch wichtig. Es erinnert uns an die unbegreifliche Natur des Schicksals und die Unberechenbarkeit der Bestimmung. Besser so, denn dann bleiben die Menschen wachsam und dankbar.“

Ein weiteres Unterscheidungsmerkmal des Fastens von den anderen Gottesdiensten ist, dass es im Vergleich zur Pilgerfahrt oder zum täglichen Hauptgebet eine unsichtbare, ja geheime Anbetung ist. Nur Gott weiß, wer fastet. Fasten ist demnach eine sehr persönliche, intime Anbetung. „Diese Eigenschaft macht den Ramadan zu einer sehr wichtigen Institution für die Entwicklung des persönlichen moralischen Bewusstseins“, sagt El-Masri. Es ist die reine Treue zu Gott, und in diesem Sinne ähnelt das Fasten dem Bittgebet, arabisch duʿāʾ, und der persönlichen Koranrezitation.

Die Nächte des Ramadan seien für die Koranrezitation und das tarāwīḥ-Gebet bestimmt. Es ist Sunna, d.h. Prophetentradition, und in muslimisch geprägten Ländern üblich, in den Nächten des Ramadan zu beten und sich an einen intimen Ort, oft die Moschee, zurückzuziehen. „Zwischen der täglichen Enthaltsamkeit (ṣiyām), und dem nächtlichen Rückzug (qiyām, iʿtikāf), ist das sittliche Bewusstsein der Gläubigen stark herausgefordert. Hier erfährt man, wie stark man sein kann, und wie leicht es ist, moralischer Schwäche zu entgehen.“ Mund und Zunge lernen neue Funktionen, während sie alte Gewohnheiten langsam verlieren. Ein Hadith verspricht, dass derjenige, der tagsüber fastet und nachts wacht, versöhnt und rein wird wie ein Neugeborenes.

Die Dreiecksbeziehung des Fastens, der Nacht und der Offenbarung im Koran verdeutlicht El-Masri anhand der 97. Sure des Korans, der Sūrat al-Qadr (Die kraftvolle Nacht/Nacht der Bestimmung).

Sūrat al-Qadr (97)
– Wir sandten ihn (den Koran) in der Nacht der Qadr herab.
– Woher kannst du wissen, was die Nacht der Qadr ist?
– Die Nacht der Qadr ist besser als tausend Monate.
– In ihr steigen die Engel herab und der Geist nach dem Gebot ihres Herrn – mit jeder Sache.
– Friede währt bis zum Anbruch der Morgenröte.

Für die ersten Hörer des Korans und in ihrer vorislamischen paganen Kultur hatte die Nacht eine ganz andere Bedeutung und Symbolik. Die Nacht, das Haus der Finsternis, war furchtbar und schrecklich. Wie in vielen paganen Kulturen, in denen die Nacht die bösen und dämonischen Mächte symbolisierte, sah die altarabische Kultur in der Symbolik der Nacht den Tod und die Verlorenheit. Dies verdeutlichte der Referent anhand verschiedener Gedichte von altarabischen Dichter:innen wie Imru al-Qays und al-Ḫansāʾ.

Die Nacht im Islam und im Koran aber ist allgemein eine Zeit, in der man die Welt vergisst und Gott nahe sein kann. Die Gläubigen „sprechen Gottes Wort in den Stunden der Nacht und werfen sich nieder“ (3:113). Dem Propheten Muhammed wird an mehreren Stellen im Koran (17:79; 39:9; 50:40; 51:17; 52:49; 73:2-6) befohlen, in der Nacht zu beten, und seine Reise durch die sieben Himmel, die Himmelsreise, findet bei Nacht statt (17:1).

Vor diesem Hintergrund werde verständlich, warum die Nacht an mehreren Stellen im Koran eine ambivalente Zeit ist: Der Prophet Abraham kontempliert nachts und sucht nach Gott (6:76), und findet ihn in seinem Herzen. Gott rettet Lot und sein Volk in der dunklen Nacht (11:81; 15:65); auch Moses und sein Volk werden in der Nacht vor dem Pharao gerettet (44:23). In den frühen Suren wird die Nacht oft als schwere Zeit erwähnt (81:17).

El Masri schließt mit den Worten: „Durch die Nacht sieht man die leitenden Sterne und ihr gebührt eine neue Morgendämmerung; ein bekanntes monotheistisches Symbol für Gottes Licht. In der absoluten Stille hört man Gottes Ruf und versteht sein Wort besser.“

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Referent

Herr Ghassan El Masri (Dr. Phil.) lebt mit seiner Familie in Berlin, arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Bayerischen Forschungszentrum für Interreligiöse Diskurse in Erlangen und ist Referent zum Thema Interreligiöses Engagement und glaubensbasierte Diplomatie.

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